Früher blieben die Lehrerinnen und Lehrer meist während ihrer gesamten Arbeitszeit im Dorf und engagierten sich in den Vereinen sowie im Dorfgeschehen. Den Beruf übte man, oft im Gegensatz zu heute, ein Leben lang aus – das waren damals die eigentlichen Dorfschullehrerinnen und -lehrer.
Anna Blülle war eine dieser charakteristischen Dorfschullehrerinnen: Geboren 1919, wuchs sie zusammen mit acht Geschwistern im neu gebauten Bauernhaus an der Oelhof-strasse auf. In Leibstadt besuchte sie die Primar- und Mittelstufe, bevor sie an die Bezirksschule Leuggern wechselte. Ihre Jugend war geprägt von der Arbeit im elterlichen Schreinerei- und Landwirtschaftsbetrieb. Das Lehrerdiplom erwarb sie in Menziken, doch dieses wurde im Kanton Aargau nicht anerkannt. Daher musste sie eine zusätzliche Qualifikation nachholen, um eine feste Stelle zu erhalten. In der Zwischenzeit unterrichtete sie als Aushilfslehrerin an Schulen, die während der Kriegszeit aufgrund von Personalmangel unbesetzt waren. Von 1943 bis 1981 war sie daraufhin 38 Jahre lang Primarschullehrerin in unserer Gemeinde Leibstadt. Mit 43 Jahren kaufte sie sich ein Auto und machte den Führerschein. Sie fuhr gerne Auto – das eröffnete ihr viele neue Möglichkeiten. So besuchte sie vermehrt das Opernhaus Zürich und ging in die Berge zum Wandern. Sogar Italien bereiste sie mit ihrem Auto. Dann packte sie ein weiteres Projekt an: Sie baute an der Bernau-strasse 338 ein Einfamilienhaus, das sie mit ihren drei Schwestern Marieli, Liseli und Vreneli bewohnte.
Ich selbst denke oft und gerne an meine Lehrerin Anna Blülle zurück, bei der ich zwei Jahre lang zur Schule gehen durfte. Sie war gütig, aber dennoch konsequent. Sie unterrichtete und betreute jeweils rund 50 Kinder – eine Klassengrösse, die heute undenkbar wäre. Ich habe sie nie schlagen sehen, was damals durchaus noch üblich war.
In ihrem Ruhestand hielt sie ihr Leben handschriftlich in vier Broschüren fest: «Erinnerungen an meine Kindheit», «Episoden aus meinem Leben», «Amüsantes aus meinen Schulstunden», «Als wäre es gestern gewesen». Anna Blülle verschenkte ihre Schriften an Bekannte und Verwandte – zur Erinnerung.

Diese Broschüren, illustriert von ihrem Neffen Matthias, führen uns in die Vergangenheit zurück. Es war eine Zeit, die ich noch selbst erleben durfte. Nach dem Krieg war sie von vielen Entbehrungen geprägt, doch es gab auch viel Fröhlichkeit.
Wir in der Kulturkommission haben diese Broschüren, wie bereits vieles andere, digital erfasst, um sie für kommende Generationen zu bewahren. Bei einem künftigen «Weisch no?»-Anlass wird Anna Blülle sicher ein zentrales Thema sein.
Bruno Vögele, Kulturkommission Leibstadt