Leibstadter Zunamen – gelebte Geschichte in einem Wort

Früher kannte man in unserem Dorf eine Vielzahl von Zunamen – beinahe jede Familie hatte ihren eigenen. Im «Leibstadter Buch» von Otto Vögele, das 1991 zum 125-jährigen Jubiläum erschien, sind rund 66 dieser Übernamen aufgeführt. Zunamen waren einst fester Bestandteil des dörflichen Alltags. Sie wurden häufig im Gespräch verwendet, auch wenn sie nie offiziell in Dokumenten auftauchten.

Dabei leiten sich diese Namen nicht zwingend von Berufen oder Wohnorten ab. Oft spiegeln sie körperliche Merkmale, Eigenheiten des Charakters oder markante Lebensereignisse wider. Auch in anderen umliegenden Gemeinden wie Döttingen oder Schneisingen waren Zunamen verbreitet, doch in Leibstadt hatten sie eine besondere Dichte und Vielfalt. Der Unterschied zwischen einem Beinamen und einem Zunamen ist fliessend – beide sind inoffiziell, doch der Zuname war in der alltäglichen Kommunikation tief verankert. Dies lässt sich an einem besonders eindrücklichen Beispiel zeigen:

De «Harzeschriner»
Hinter dem Übernamen «Harzeschriner» verbarg sich ein gewisser Mathias Zimmermann. Er war 28 Jahre alt, verheiratet mit Karolina Müller und lebte im Oberdorf unterhalb der unteren Mühle – heute bekannt als Knecht-Mühle. Mathias betrieb eine Schreinerei und führte, wie damals üblich, nebenbei einen kleinen Landwirtschaftsbetrieb.

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Im Jahr 1847 brach der Sonderbundkrieg aus – der letzte Bürgerkrieg auf Schweizer Boden. Mathias jedoch war kein mutiger Kämpfer. Um dem Einzug ins Militär zu entgehen, griff er zu einem drastischen Mittel: Er schnitt sich einen Zeh ab. Der Plan ging auf – er musste nicht einrücken. Doch der Krieg dauerte lediglich vom 3. bis zum 29. November 1847. Mathias hatte sich also umsonst verstümmelt. Noch schlimmer: Die Wunde heilte schlecht, sie «harzte» – ein Ausdruck aus dem Dialekt für stocken oder sich hinziehen. Aus diesem Umstand entstand sein Übername: Der «Harzeschriner». Heute ist der Name vergessen, doch die Geschichte lebt weiter.

Namen mit Charakter
Einige wenige dieser Zunamen haben in Leibstadt bis heute überlebt und werden noch gelegentlich verwendet. Beispiele sind: «s’Wächters», «Ziegles», «s’Wysers», «s’Tadeelis», «s’Bäbis», «s’Schützenmartis», «Seifensüders», «Yzügers», «Oelbure», «Amtsweibels», «Schmiedsfridlis», «Bäcke», …

Die Liste ist nicht vollständig – und leider werden diese Zunamen immer seltener verwendet. Dabei sind sie nicht nur klangvoll, sondern ein wertvolles Stück ländlicher Alltagskultur. Sie helfen, Personen einzuordnen und verbinden uns mit unserer Vergangenheit. Schade, dass sie langsam in Vergessenheit geraten.

Aufruf: Wer kennt noch diese Namen?
Wir wollen weitere, nahezu vergessene Zunamen aufarbeiten, doch dazu benötigen wir Ihre Hilfe! Wer erinnert sich an die Herkunft folgender Übernamen und weiss vielleicht noch Geschichten dazu?

  • Schniderseppis – Zimmermann, Oberdorf
  • Reesefridels – Neue Welt, das Haus wurde abgerissen
  • Chüngelis – Vögele, Unterdorf
  • Ferrgers – Vögele, Unterdorf (Textilhändler)
  • Brosis – Erne-Kalt, Unterdorf (ehemaliger Gemeindeschreiber)
  • Hansbüeblis – Eckert-Rettich, Rheintalstrasse
  • Schumachers – Erne Bernau, Bäcker


Wir freuen uns über jede Erinnerung, jede Anekdote und jede Ergänzung!
– Können wir gemeinsam dieses sprachliche Kulturgut bewahren? Sie dürfen sich gerne melden unter kultur@leibstadt.net oder bei Werner Hediger direkt 079 781 77 78.

Wir freuen uns sehr, wenn Sie Ihr Wissen mit uns teilen und damit für künftige Generationen sichern möchten.